Wehrpflicht vor der Wahl

Die vorgezogenen Bundestagswahlen im September 2005 – die Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts vorausgesetzt - können erhebliche Auswirkungen auf die Wehrpflichtentwicklung in der BRD haben. Die möglichen Szenarien sollen an dieser Stelle skizziert werden. Vorweg: Die Parteispitze der CDU/CSU will die Wehrpflicht ausweiten, während in der SPD die Wehrpflichtgegner immer mehr Raum gewinnen. Grüne und FDP wollen die Wehrpflicht aussetzen bzw. abschaffen, um die Bundeswehr für weltweite Kriegseinsätze zu professionalisieren. Die Linkspartei.PDS tritt sowohl für eine Abschaffung der Wehrpflicht als auch für eine umfassende Abrüstung der Bundeswehr ein.

SPD/Grüne wiedergewählt

Sollte die derzeitige Bundesregierung, auf deren Wiederwahl niemand mehr einen Pfifferling geben mag, bestätigt werden, würde vieles vom Parteitag der SPD im November 2005 abhängen. Die SPD, deren Führung fast geschlossen hinter der Wehrpflicht steht, wird sich dem Votum der Partei stellen müssen. Erstmals erscheint eine Mehrheit pro Wehrpflicht in der SPD nicht mehr gesichert. Die Parteiführung will die Diskussion um die Wehrpflicht bewusst aus dem Wahlkampf heraushalten. So wird das SPD-Präsidium nicht mehr wie geplant über einen Leitantrag für den Bundesparteitag im November beraten, und in ihrem Wahlmanifest geht die SPD nicht auf die Wehrpflicht ein. Würde innerhalb der SPD die Wehrpflicht gekippt, ständen die Zeichen bei einer rot-grünen Regierung auf Wehrpflicht-Ausstieg.

Absolute Mehrheit CDU/CSU

Würde die CDU/CSU aus eigener Kraft die Regierung stellen, wäre unsere Anti-Wehrpflichtarbeit wohl auf unabsehbare Zeit notwendig, und die Wehrpflichtigen müssten sich warm anziehen. Den bisherigen Äußerungen von Kanzlerkandidatin Angela Merkel und „Wehrexperten“ der CDU ist zu entnehmen, dass neben der grundsätzlichen Bejahung der durch Rot-Grün forcierten Auslandseinsätze ein „Heimatschutz“ innerhalb der Bundeswehr aufgebaut werden soll. Denn „das Bedrohungsgefühl der Bevölkerung werde »den wahren Herausforderungen« nicht gerecht“, so Angela Merkel, früheres FDJ-Kreisleitungsmitglied und FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Ihre dabei erworbenen Kenntnisse wird sie anzuwenden wissen: Denn es geht nicht um eine reale, sondern um eine gefühlte Bedrohung. Und die lässt sich über Propaganda nahezu beliebig manipulieren. Für Merkel steht fest: „Auslandseinsätze der Bundeswehr werden zunehmen. Die Verteidigung unserer Interessen und unserer Sicherheit muss im 21. Jahrhundert weltweit erfolgen. (...) Unsere Streitkräfte haben aber neben den weltweiten Einsätzen noch eine weitere Aufgabe: die Verteidigung unseres Landes, den Heimatschutz. Meine Partei wird gerade (...) mit Blick auf eine funktionierende Heimatverteidigung auch in Zukunft für die Beibehaltung der Wehrpflicht in Deutschland werben.“ (Rede vom 07.02.04) Für den Aufbau der Heimatschutzkomponente soll nach bisherigen Vorstellungen der CDU die Bundeswehr um 25.000 Soldaten, darunter 20.000 Wehrpflichtige, aufgestockt, die Ausgaben für die Bundeswehr sollen „substanziell“ erhöht werden (CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 30.03.04). Einsätze der Bundeswehr im Innern sind für die CDU/CSU nicht tabu, genauso wenig wie die Aufhebung der Trennung von Militär, Polizei und den Nachrichtendiensten sowie die Ausweitung der Wehrpflicht zu einer allgemeinen Dienstpflicht.

CDU/CSU-FDP-Regierung

Die FDP hat sich in den letzten Jahren als Anti-Wehrpflicht-Partei zu profilieren versucht. Ihre Beschlusslage ist eindeutig: Verzicht auf die Wehrpflicht zugunsten der Professionalisierung und Modernisierung der Bundeswehr für Auslandseinsätze. Nach der Ankündigung Schröders von vorgezogenen Neuwahlen haben sich FDP und CDU/CSU über die Zukunft der Wehrpflicht im Falle ihrer Regierungsübernahme gestritten. Seit die CDU/CSU klargemacht hat, dass sie bei der Wehrpflicht nicht kompromissbereit sei, ist die Wehrpflicht für die FDP in den möglichen Koalitionsverhandlungen „kein Kernthema“ mehr. Die FDP hat sich schnell mit der Position als Juniorpartner angefreundet. Es ist allerdings nur schwer vorstellbar, dass sie eine allgemeine Dienstpflicht zulassen würde.

Große Koalition aus Union & SPD

Alles möglich außer Verzicht auf die Wehrpflicht.

 

Ralf Siemens

www.kampagne.de