Vorwort

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt... Viel ist geschehen seit dem letzten Rotdorn vor vier Monaten: Der Kanzler will das Misstrauen. Gar nicht mal so einfach für die Koalitionäre, in sieben langen Jahren Regierung haben sie doch immer brav genickt und zu Allem Ja gesagt. Und nun meint der Chef, dass er ihnen, seinen Bundestagsabgeordneten, nicht mehr vertrauen kann!
Was folgte war ein Schmierentheater ohnegleichen.

Die SPD übt sich munter in »Kaptilismuskritik«, schreibt ein »Wahlmanifest« und die »Parteilinken«, die sonst wie Schmuddelkinder in der Ecke stehen, dürfen zur Wahl auch mal ihren Mund aufmachen... Und sie freuen sich ganz doll, das der Gerd sie doch noch lieb hat.
Die Grünen tuen so, als ob sie das alles nichts angeht. Die Partei ist Joschka, und Joschka ist schon lange dieser schnöden Welt entrückt – er schwebt sozusagen über den Dingen. Er erklärt der Partei wie das so ist, in der großen, weiten Welt und der Partei wird dabei wohlig warm ums Herz. Sofortiger Atomausstieg? Energiewende? Friedenspartei? War was? Nein, »links« ist bei den Grünen eine Art schickes Mode-accesoire, was man sich bei Bedarf ans Revert heftet.
Das Problem der Unionsparteien sind weniger die frustierten Provinzpolitiker als vielmehr Angela Merkel und ihr »Kompetenzteam«. Der Bayer Beckstein als Innenminister wird Schilys Radikalabbau der Bürgerrechte vorantreiben (Seite 5) und mit dem Parteilosen Kirchhof hat man auch einen waschechten Turbokapitalisten an Bord. Wer für die von ihm geforderten Absenkung des Spitzensteuersatzes auf 25% bezahlen wird ist klar: die Umverteilung des Vermögens von unten nach oben wird beschleunigt. Den »Wertekonservatismus«, den man sich bei der Union bei alledem auf die Fahnen schreibt, beleuchten wir auf Seite 4 näher.
Und die FDP? Diemal ohne »Guidomobil« und »Projekt 18« probieren sie in diesem Wahlkampf vor allem eins: Nicht schon wieder Guido als Grinsespaßkasper der Nation und somit die gröbsten Peinlichkeiten den anderen überlassen (den Job haben Stoiber und Schönbohm bestens erledigt). Wenn man schön ruhig bleibt darf man vielleicht wieder der Mehrheitsbeschaffer sein.

Als unabhängige linke Jugendzeitschrift haben wir uns seit Jahren für den Einzug der PDS in den Bundestag eingesetzt. Auf Bundesebene besteht nun die große Chance, dass durch die Neugründung der Linkspartei eine starke linke Fraktion in den Bundestag zieht. Eine Liebesheirat war es zwar nicht gerade zwischen PDS und WASG (siehe Interview mit Stefan Liebich auf Seite 11), aber was nicht ist, kann ja noch werden.Und trotz aller Unkenrufe ist es gelungen die Listen aufzustellen. Nun muss es darum gehen, geschlossen in den Wahlkampf zu ziehen und nach dem 18. September endlich wieder linke Oppositionsarbeit im Bundestag zu leisten!

Der Schwerpunkt des dritten Rotdorn in diesem Jahr liegt somit bei der kommenden Bundestagswahl. Anfang des Jahres sind wir auf die (gescheiterten) Montagsdemos eingegangen und pünktlich zum 60. Jahrestag der Befreiung haben wir den Faschismus damals und heute beleuchtet. Insbesondere der Artikel zu den Naziläden ist auf Euer Interesse gestossen: Viele Leserbriefe haben gezeigt, dass das Faschoproblem nach wie vor, besonders an Schulen, existent ist. In der nächsten Ausgabe wollen wir Eure Erfahrungen zum Thema veröffentlichen. Wir freuen uns auf Eure Briefe, Gedichte, Bilder und ...

Wenn Du den Rotdorn nicht das erste Mal in der Hand hältst, ist Dir sicherlich schon aufgefallen, dass wir leider nur eine »Sparausgabe« finanzieren konnten. Durch den um zwölf Seiten geringeren Umfang konnten wir einige Artikel bis auf weiteres nicht veröffentlichen. Aber Dank unnachgiebiger Arbeit können wir eine Ausgabe zum Wahlkampf ermöglichen.
Das diese Ausgabe überhaupt erscheinen kann, haben wir der PDS Berlin III, der Berliner PDS, den Spendern und Anzeigenkunden (insbesondere dem »Kämpfer für die vergessenen Wälder«, Gracias) zu verdanken. Wir wollen auf jeden Fall die kostenlose Verschickung des Rotdorn aufrecht erhalten, denn so kommt unsere Zeitschrift an Orte, an denen es uns nicht möglich ist zu verteilen. Für diese Ausgabe müssen wir aber darauf verzichten. Durch die Druckkosten haben wir unser Budget aufgebraucht.
Also: Jede Spende hilft uns weiter, selbst wenn es nur 1€ sein sollte: Mit diesem können wir schon einen Abonnenten beliefern.

Ansonsten hat der Rotdorn seit Neuestem eine eigene Radiosendung: Rotdorn-Radioaktiv. Wir senden zwei Stunden im Monat auf der Frequenz des Offenen Kanal Berlin. Wir haben uns viel vorgenommen! Hört doch einfach mal rein, Empfangsfrequenzen und Sendetermine stehen auf der Seite 15.
Bis zur nächsten Ausgabe des Rotdorn, die im Januar 2006 zur Karl&Rosa-Demo erscheinen wird, könnt ihr in unserem Online-Archiv unter www.rotdorn.org schmökern.

Einen schönen (Rest)Sommer, viel Spaß beim Lesen und beim Hören wünscht Euch
Eure Rotdornredaktion