Rechtsextremist Paul Schäfer
muss sich in Chile vor Gericht verantworten
Ein privater Führerstaat am Fuß der Anden
Der 83-jährige Paul Schäfer, Führer der „Colonia Dignidad“
(Kolonie der Würde), wurde Mitte März in Argentinien verhaftet und
an Chile ausgeliefert. Mit seiner Festnahme findet hoffentlich das skandalöse
Ignorieren der Anzeigen und Beschwerden von ehemaligen Mitgliedern der
„Neonazi-Sekte“ und politischer Folteropfer durch chilenische und
deutsche Behörden ein Ende. Eine umfassende Aufklärung und Ahndung
aller kriminellen Handlungen in der früheren Deutschen-Siedlung muss jetzt
endlich beginnen.
Wer ist Paul Schäfer?
Der 1921 in Troisdorf bei Bonn geborene Paul Schäfer war der „meist
gesuchteste Mann Lateinamerikas“, wie im Mercurio, einer der größten
Tageszeitungen Chiles zu lesen war. Der Sekten-Führer ist geprägt
durch eine strenge Nazi-Erziehung, teutonischen Männerkult und den Kadavergehorsam
der Wehrmacht. Als der Obergefreite am Ende des Krieges ohne Beruf dastand,
begann er bei einer evangelischen Freikirche als Jugendwart. Doch schon Ende
der vierziger Jahre wurde er entlassen, als sich die Vorwürfe wegen sexuellem
Mißbrauch Schutzbefohlener häuften.
Danach zog Schäfer als baptistischer Laienprediger durchs Land und gründete
1956 in Lohmar die „Private sociale Mission“, deren Mitglieder ohne
Lohn hart in der Landwirtschaft für die Gemeinschaft arbeiten mussten.
Die „Mission“ unterhielt auch ein Kinderheim. Als Schäfer erneut
sexuelle Vergehen an Jungen vorgeworfen wurden, organisierte der unverbesserliche
Nazi 1961 mit Hilfe der deutschen Botschaft in Chile die Auswanderung von mehreren
hundert Mitgliedern seiner „religiösen Gemeinschaft“.
In der Colonia Dignidad war er der uneingeschränkte Führer. Während
der Militärdiktatur stellte er in der Deutschen-Siedlung Gebäude für
die heimliche Inhaftierung politischer Gefangener zur Verfügung und beteiligte
sich selbst an Folterungen. Aussteiger aus seiner „Musterkolonie“
berichteten auch wieder von Vergewaltigungen Minderjähriger.
Erst als die chilenische Justiz Mitte der neunziger Jahre widerstrebend begann,
die Verbrechen während der Pinochet-Diktatur aufzuarbeiten, wird immer
wieder auch der Name Paul Schäfer genannt, so dass sich der Führer
der Folter-Kolonie, gegen den auch ein Haftbefehl der Bonner Staatsanwaltschaft
wegen Kindesmissbrauch vorlag, nach Argentinien absetzte.
Nach neunjähriger Fahndung wurde Schäfer am 10.?März mit seinen
sechs Leibwächtern von Interpol in einer umzäunten und bewachten „Reichen-Siedlung“
bei Buenos Aires verhaftet und nach Chile ausgeliefert.
Colonia Dignidad, ein kleiner
Führerstaat
Das „Mustergut“, das 400 Kilometer südlich der chilenischen
Hauptstadt Santiago 1961 entstand, hatte etwa die Größe des Saarlandes
und beherbergte fast 500 Bewohner. Hier baute Schäfer eine deutsche äußerlich
heile Welt auf mit Dirndlkleid, Bayernwappen und Schwarzwälder Kirschtorte
als Verkaufsschlager. Auch die armen chilenischen Nachbarn waren zu erst entzückt
von den hilfsbereiten Deutschen, die eine Schule und ein Krankenhaus bauten,
die der ganzen Region zur Verfügung standen.
Im Innern der mit hohem Stacheldraht- und Elektrozaun umfriedeten Siedlung herrschte
Zucht und Ordnung: Männer, Frauen und Kinder waren in extra Häusern
untergebracht, das Verlassen der Colonia Dignidad war ebenso wie das Betreten
und die Heirat zwischen Mitgliedern der Sekte durch den Führer genehmigungspflichtig.
Schäfers Wort war Gesetz. 12 Stunden am Tag wurde die ganze Woche einschließlich
Sonntags ohne Lohn und Sozialversicherungsschutz in den Einrichtungen und in
der Landwirtschaft gearbeitet. Frauen trugen einen Dutt und Männer eine
kurze Scheitelfrisur wie in alten Zeiten „unser aller Führer“.
Bei den kleinsten Verfehlungen waren körperliche Züchtigungen an der
Tagesordnung. Fernsehen und Telefonieren war den einfachen Sekten-Mitgliedern
verboten. Die Siedlung war ein Schmuggelzentrum für Waffen und in die Geldwäsche
rechter Kreise verwickelt.
Als endlich das „Gute in der Welt“ (Schäfer) in Form der chilenischen
Militärdiktatur 1973 gesiegt hatte, stellte Schäfer die abgeschirmte
und „geordnete“ Siedlung dem Geheimdienst DINA für das „Verschwinden
lassen“ von politischen Gegnern und das Ausprobieren von neuen Foltermethoden
– unter anderem mit Giftgas – zur Verfügung. Augusto Pinochet
besuchte ebenso wie Franz Josef Strauß die Siedlung. Erst 1991 wurden
die Verbrechen, die in der Kolonie verübt worden waren, in einem Regierungsbericht
benannt. Reporter, die sich der Colonia Dignidad näherten, wurden beschossen.
Nachdem Schäfer 1996 die Siedlung verlassen hatte, führte sein Stellvertreter
und Sicherheitschef Mücke die Arbeit fort. Aus der Kolonie heraus wurde
ein internationaler NS-Kongress im Jahre 2000 vorbereitet. Auch wenn sich die
Siedlung heute Villa Bavaria (bayrisches Dorf) nennt, blieben die Unterdrückungsstrukturen
im großen und ganzen bestehen. Die Mitglieder dürfen zwar heiraten
und telefonieren, die Geschlechtertrennung wurde aufgehoben, aber die Gehirnwäsche,
der Sektenwahn und Missbrauch von Medikamenten als Beruhigungs- bzw. Aufputschdroge
bestehen weiterhin. Viele allerdings haben die Deutschen-Siedlung verlassen,
Krankenhaus und Schule sind geschlossen. Die ersten Mitglieder, die mit Schäfer
1961 kamen, sind alt und verarmt. Sie vegetieren in den Räumen des Krankenhauses
vor sich hin.
Die deutschen Unterstützer
der Folter-Kolonie
Die Colonia Dignidad war Anlaufstelle und Zufluchtsort für NS-Verbrecher
und rechte Terroristen. Jahrelang wurde sie als politisches Scharnier zwischen
der CSU, dem Bundesnachrichtendienst und der Pinochet-Diktatur benutzt. Vor
allem CSU-Politikern erschien das berüchtigte „Mustergut“ als
„deutsche Idylle, wo nicht ‚68‘ die alten Tugenden zerbröseln
ließ“ (Spiegel-Autor Kurbjuweit, ehemaliges Sekten-Mitglied). Nach
einem Besuch in der Colonia Dignidad schwärmte der ehemalige CSU-Stadtrat
aus München Vogelsang: „Man ist konservativ, denkt an Bayern, zeigt
die Fahne mit Löwe und Raute, Hoffnung für Deutschland!“ Noch
Mitte der 90er Jahre hing ein persönlich signiertes großes Foto von
Franz Josef Strauß, dem ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten
in der Siedlung. Auch der Fernsehmoderator des „ZDF-Magazins“ Löwenthal
war ein begeisterter bundesdeutscher Unterstützer der Colonia Dignidad
ebenso wie der deutsche Botschafter in Chile, Strätling. Gesuchte Alt-Nazis,
die in Lateinamerika Dank des Vatikans und der CIA Unterschlupf gefunden hatten,
wie der spätere Waffenhändler und Gehiemdienstmann Hans Albrecht Loeper,
hielten Kontakt zur Deutschen-Siedlung. 1997 lobte der Neonazi-Scharfmacher
„Schinderhannes“ alias Hans Josef Mack im Thule-Netz die Kolonie
in höchsten Tönen. Das Leben dort sei „ein Traum, zumindest,
was die menschliche, deutsche Seite betrifft!“
Klaus Körner