Die
im Grundgesetz verankerten Grundrechte wie Meinungs- und Demonstrationsfreiheit
sind für linksdenkende Menschen meist nicht das Papier wert, auf dem sie
stehen. Das war für mich nichts Neues. Aber was ich zusammen mit vier Freunden
am 1. Februar auf dem Weg zur "Münchener Sicherheitskonferenz der
NATO" erlebte, entsprach einer neuen Qualität von Staats- und
Polizeiwillkür, die wir vor allem den Sicherheitspaketen von Schily zu
verdanken haben.
Bis
zu diesem Zeitpunkt hatte ich die globalisierungskritischen Aktionen im Umfeld
von G8-, IWF-, EU- und NATO-Gipfeln nur wohlwollend über die Medien verfolgt.
Doch diesmal, im nahen München, wollte auch ich dabei sein und "Flagge
zeigen" gegen eine hochgezüchtete „Sicherheits“- und Kriegspolitik der
vereinten Militärstrategen.
Also
packte ich schnell ein paar Sachen zusammen, und ab gings zum Bahnhof Zoo, wo
schon zwei von „attac“ organisierte Busse auf uns warteten. Doch wir hatten uns
zu früh gefreut. Zwar standen die Busse startbereit da, doch zwei dicke
Polizeiwannen blockierten die Ausfahrt und hinderten uns am Einsteigen.
Die
Demonstration wurde mit der fadenscheinigen Begründung verboten, dass „eine
ungewisse Anzahl von Gewalttätern erwartet werde“. Mit dieser Begründung kann
man jede größere Demo oder sogar jedes Fußballspiel verbieten.
So
gelang es der Berliner Polizei uns über eine Stunde aufzuhalten. Jeder der
mitfahren wollte, musste eine Befragung, Leibesvisitation sowie
Gepäckdurchsuchung über sich ergehen und seine Daten speichern lassen. Wir
versicherten den Beamten, dass wir natürlich nicht an der verbotenen Demo,
sondern an der Gewerkschaftsveranstaltung teilnehmen wollten.
Doch
eigentlich hätten wir an diesem Punkt schon wissen müssen, dass das nicht die
letzte Polizeibehinderung werden würde. Erst mal rollten die Busse in Richtung
München - eskortiert von jeweils zwei Polizeiwannen. An jeder Landesgrenze
löste die jeweilige Autobahnpolizei die andere ab, so dass wir die ganze Fahrt
über Schutz von Polizisten genossen. Selbst auf jeder Raststätte blieben sie an
uns kleben und kontrollierten jeden Toilettengang.
Am
nächsten Morgen um kurz vor neun war dann plötzlich Schluss. Kurz vor München
wurden wir auf eine kleine Raststätte gelenkt, die in eine Kontrollstelle
umfunktioniert war. Hier warteten etwa 20 Polizeifahrzeuge und ca. fünfzig
Polizeibeamte auf uns. Nachdem die Busse hielten, wurden wir aufgefordert, der
Reihe nach einzeln nach draußen zu gehen. Da ich genau hinter dem Fahrer saß,
war ich der erste, der das Vergnügen hatte. Mit verschlafenen Augen „lächelte“
ich etwa zehn Sekunden in eine Digitalkamera und musste meinen Namen laut und
deutlich für die Audio-Datei nennen. Danach wurde der Ausweis eingezogen, und
ich durfte mich noch intensiver als in Berlin mit ausgestreckten Armen und
Beinen von einem Polizisten „befummeln“ lassen, der daraufhin auch meinen
Rucksack zum wiederholten Male durchwühlte. Nachdem bei mir schon wieder keine
illegalen Gegenstände oder Waffen gefunden wurden, musste ich mich auf einen
abgesperrten „Gehege“ von ca. 15 qm begeben, aus dem ich nicht heraus durfte.
Nach über zwei Stunden standen also fast fünfzig Menschen gedrängt in einem
Gatter, umgeben von schmunzelnden bayrischen Bullen, denen die Aktion
augenscheinlich Spaß machte. Wieder und wieder wurden wir gefilmt und
fotografiert.
Ich
glaube, so menschenunwürdig behandelt gefühlt habe ich mich noch nie in meinem
Leben, und ich musste mich sehr beherrschen mir stattdessen mit einem
siegesbewussten Lächeln nichts anmerken zu lassen.
Während
wir alle eingesperrt waren und uns die Beine langsam einschliefen, durchsuchten
die Polizisten ohne Zeugen unseren Bus und durchkramten das gesamte Gepäck.
Dummerweise wurden im anderen Bus, der etwa fünfzig Meter von uns entfernt
stand, weiße Overalls und Transpis gefunden, die die Polizeibeamten als Beweis
werteten, dass wir doch an der verbotenen Demo teilnehmen wollten. Auch diese
Aktion wurde gefilmt. Einer wurde sogar wegen Beleidigung von
Staatsoberhäuptern verhaftet, weil er ein Transpi mit der Aufschrift
"Scharon ist ein Kriegsverbrecher" bei sich hatte. Nach drei Stunden
wurde uns dann mitgeteilt, dass wir einen "erweiterten Platzverweis"
für München und Region erteilt bekommen hätten und in Richtung Norden, wo wir
herkamen, zurückfahren sollen.
Unsere
Busfahrer, deren Lenkzeit von acht Stunden überschritten war und die zu ihren
bestellten Betten in München wollten, protestieren. Doch zwecklos. Lieber
erteilte ihnen der Einsatzleiter eine gesetzwidrige Ausnahmegenehmigung zum
Weiterfahren, und provozierte damit unsicheres Fahrverhalten, als uns zu einer
legalen Veranstaltung fahren zu lassen.
Intern
hatten wir uns auf Plan B verständigt und wollten wenigstens nach Nürnberg
fahren um dort, mit den anderen aufgehaltenen Mitfahrern aus Freiburg und
Leipzig, eine Spontandemo gegen die
Einschränkung unserer Grundrechte machen. Doch auch dies verhinderte die
Polizei und zwang uns auf einem winzigen verschlafenen bayrischen Rasthof in
Greding zu halten.
Die
Polizei wies die Fahrer an, auf eigene Kosten im dortigen Hotel zu übernachten,
und wir waren acht Stunden auf einem öden Rastplatz festgehalten. Ein
Nürnberger Polizist erklärte uns, dass wir keinerlei Recht hätten, uns nach
Süden zu bewegen, und wir bei Zuwiderhandeln festgenommen und in Gewahrsam
kommen würden. Dem nach hatten wir ein Platzverbot für den ganzen Süden des
Freistaates. Sollte alles umsonst gewesen sein oder sollten wir es versuchen
nach München zu trampen? Unmöglich. Die ganze Zeit wurden wir von mindestens
drei Fahrzeugen beobachtet, was mich und meine Freunde allerdings nicht
hinderte, an einem in der Nähe gelegenen See die Natur und leckere Kräuter zu
genießen.
Doch
nach sechs Stunden hatte selbst der genügsamste Mensch einfach nur noch Wut
über die Langeweile und Polizeibeobachtung. So kam die Idee in kleinen
Grüppchen in das Örtchen Greding einzufallen und die erste(!) Demo in der
Geschichte des Nestes zu formieren. Es war mittlerweile nach neun und die
dunklen Gassen, durch die wir liefen, waren menschenleer. Das hielt uns nicht
ab lautstark Sprüche a la "Stoiber, Stoiber, Freiheitsräuber!" zu
rufen. Damit erschreckten wir die Polizisten derart, dass sie mit ihren Autos sogar
über ihren heiligen grünen Rasen rasten, um uns einzuholen und abzudrängen.
Doch wir waren jetzt so in Fahrt, dass wir uns davon nicht abhalten ließen und
in die nächste Gasse einbogen und weitermachten.
Als
wir unseren Frust abgelassen und doch noch die Aufmerksamkeit von verschlafenen
Dorfbewohnern erzielt hatten, zogen wir wieder friedlich zum Rastplatz zurück.
Wenigstens bekamen wir Besuch von einigen Dorfjugendlichen die sich mit uns solidarisierten
und begeistert waren, dass in dem Kaff mal was los war. Von dort ging es dann
wieder nach hause - nach Berlin.
Besonders
freuten wir uns, als wir erfuhren, dass es trotz großer Anstrengungen von
Seiten der Stadtverwaltung und der Polizei über fünftausend Menschen geschafft
hatten, die Festung München zu „stürmen“ und symbolisch auch unseren
verhinderten Protest auf den Straßen der bayrischen Hauptstadt zu artikulieren.
Und trotz bewiesenermaßen eingesetzter agents provocateurs war die Demo, abgesehen
von ein paar abgeknickten Zweigen, friedlich und gewaltlos mit Unterstützung
der Bevölkerung durchgesetzt worden.
Doch
angesichts der immensen Kosten, schon allein für die Überwachung unserer Busse
waren ca. 250 Polizisten das ganze Wochenende im Sondereinsatz, die für die
Unterbindung unserer Meinungs- und Demonstrationsfreiheit verschwendet wurden,
blieb einem das Lachen im Halse stecken.
Und
das war erst der Anfang. Laut Zeitungsberichten ist die EU gerade dabei im Zuge
der Definition von Terrorismus auch Globalisierungskritiker und andere
politische Bewegungen zu kriminalisieren bzw. als Terroristen abzustempeln. So
gelten künftig als terroristische Straftaten: die Besetzung von Bohrinseln
durch Greenpeace sowie auch Aktionen von Castor-Gegnern, die den öffentlichen
Verkehr behindern.
Zur
Kriminalisierung von politischen Aktivisten trägt besonders eine Initiative der
spanischen EU-Ratspräsidentschaft bei, in der es heißt: "die allmähliche
Zunahme von Gewalt und krimineller Sachbeschädigungen auf verschiedenen
Gipfeltreffen der EU [...] sind das Werk eines losen Netzwerkes, das sich
hinter diversen [...] Organisationen verbirgt, [...], um den Zielen
terroristischer Gruppen Vorschub zu leisten." Um dem vorzubeugen, sollen
Informationen über Aktivisten über Geheimdienstkanäle der EU ausgetauscht werden,
da "dies ein sehr nützliches Werkzeug bereitstellen [würde] für die
Prävention und nötigenfalls Strafverfolgung gewalttätiger urbaner
Jugendradikalität, die zunehmend von terroristischen Gruppen als Handlanger
benutzt wird, um ihre kriminellen Ziele durchzusetzen".
Ich
glaube, dies zeigt, was auf die globalisierungskritische Bewegung bei den
nächsten Gipfeltreffen zukommen wird.
Und
trotzdem dürfen wir dem nicht einfach zusehen!
Zusammengeschweißt
durch die gemeinsamen Erlebnisse auf der Fahrt nach München treffen sich
seitdem zehn bis zwanzig junge, linksdenkende Menschen regelmäßig im Mehringhof
und planen als "munich community" neue Vernetzungsstrategien wie in
Italien, denn gemeinsam sind wir stark. Erste Veranstaltungen und Mithilfe
an Ostermarsch und 1. Mai sind geplant und eine unserer nächsten Aktionen wird
die hoffentlich zahlreiche Teilnahme an Demonstrationen in Sevilla am 21., 22.
Juni 2002 gegen die bevormundende Mentalität und das autoritäre System der EU
sein.
Wenn
ihr Bock habt mitzumachen, meldet euch bei der Redaktion und vergesst nicht:
WIR LASSEN UNS NICHT STOPPEN !
oskar